Mittwoch 07. Dezember 2016 | 16:50

Gute Eliten, böse Eliten

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Es gibt gute Eliten und böse Eliten. So erklärt uns Markus Somm die Welt. Es ist eine Harry-Potter-Welt, die er uns eröffnet. Auch dort gibt es die Guten und die Bösen. Das Problem ist, dass wir nie so genau wissen, wer die Guten sind und wer die Bösen. Das macht es für den Leser spannend. Vor allem bei den Lehrern für Verteidigung gegen die Dunklen Künste in Schloss Hogwarts können wir uns nie ganz sicher sein. Bevor diejenigen, die sich etwa klassischere Lektüre gewohnt sind, nun die Nase rümpfen: Man kann zu diesem Thema auch andere Bücher zur Hand nehmen. „Die Schwarze Spinne“ zum Beispiel von Jeremias Gotthelf. Auch dort gibt es das Gute und das Böse. Doch wer gehört zu wem? Ich weiss es nicht so genau. Auch Somms Verteidiger gegen die Dunklen Künste, Bankdirektor Alfred Schaefer aus dem Aarau der 1950er-Jahre – wo reihen wir ihn ein? Reicht es aus, die Leute vom hohen Ross herab zu grüssen, um sich gleichwohl demütig nach ihren Sorgen zu erkundigen? Und was hat dies mit der aktuellen Situation unserer Demokratie zu tun?

In „Doktor Schiwago“, Boris Pasternaks berühmtem Roman, sagt Mischa Gordon, der Freund von Doktor Schiwago: „Es geschieht immer wieder das gleiche in der Geschichte: ein Ideal, eine erhabene Idee, vergröbert sich, wird materialisiert. So wurde Griechenland zu Rom, so wurde das Russland der Aufklärung zur Revolution.“ Man kann diese Worte auch auf die Demokratie übertragen. So gibt es tasächlich einen Kontrast zwischen dem, was versprochen wurde, und dem, was tatsächlich durchgeführt wird.
Von den „nicht eingehaltenen Versprechen der Demokratie“ spricht deshalb der italienische Politologe und Philosoph Norberto Bobbio in seinem Buch über die „Zukunft der Demokratie“. Zu diesen gehört zweifellos das Versprechen, der Macht von Wenigen ein Ende zu setzen. Konkret ist damit der Wegfall der Unterscheidung zwischen Regierenden und Regierten gemeint. Tatsächlich erleben wir aber den Fortbestand der Machteliten.

Gaetano Mosca, der Rechts- und Politikwissenschaftler und Soziologe, entwickelte bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts seine Theorie der „politischen Klasse“, die dann später die Elitentheorie genannt wurde. Der Nationalökonom Joseph Schumpeter vertrat eine vornehmlich verfahrensmässige Definition der Demokratie. Nach ihm ist das Charakteristikum der Demokratie nicht die Abwesenheit von Eliten, sondern die Konkurrenz mehrerer Eliten um die Eroberung der Mehrheit der Wählerstimmen. Das sind Eliten, die sich nicht mit Gewalt aufdrängen, sondern die sich zur Wahl vorschlagen. Das Resultat ist eine „Gleichgewichtsdemokratie“.

Eine wichtige Frage lautet, was dieses Gleichgewicht der Demokratie gefährden kann. Sigmar Gabriel, der Stellvertreter von Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat die Antwort darauf im „Spiegel“ kürzlich so formuliert: „Der eigentliche ‚Clash of Civilizations‘ ist nicht Christentum gegen Islam, sondern die Selbstbehauptung der liberalen und sozialen Demokratien gegen die Neuvermessung unserer Gesellschaften durch autoritäre, nationalistische und chauvinistische Bewegungen.“ Die Autoritären würden sich zwei Dinge zunutze machen: die Enttäuschung vieler Menschen über die gewachsene soziale Ungleichheit. Und die immer stärker werdende Distanz zwischen der wirtschaftlichen und politischen Führung und den Bürgern. Seit Jahrzehnten werde den Bürgern von den selbst ernannten Eliten in Wirtschaft, Politik und Medien erzählt, dass die Anpassung an die Globalisierung alternativlos sei.

Gleichzeitig habe man erleben müssen, wie die Gier wuchs und leistungsloser Reichtum die Spaltung der Gesellschaft vergrösserten. „Wer nach den Ursachen der Entfremdung und des Elitenhasses sucht: Das sind sie“, so Gabriel. Tatsächlich geht die grosse Verbitterung über die Finanzkrise einher mit Globalisierungsängsten: Gemäss einer aktuellen, europaweit durchgeführten Studie der Bertelsmann Stiftung nehmen 45 Prozent der Befragten die Globalisierung als Bedrohung war. Immerhin 35 Prozent haben wirtschaftliche Ängste.

Das schockierende Grounding der Swissair 2001 oder die schwere Krise bei der UBS während der Finanzkrise ab 2007 – vor allem durch ihr Engagement in den USA und ihre Verstrickung in Steuerbetrugs-Affären – sind zweifellos Beispiele für Desaster, die auch in der Schweiz zur geschilderten Entfremdung beigetragen haben. Oder der 44-Mio-Lohn des damaligen Novartis-Chefs Daniel Vasella: Das Verhältnis zwischen seinem Gehalt und der makroökonomischen Entwicklung war nicht nur unmoralisch, sondern auch ökonomisch fragwürdig. Problemlos lässt sich mehr als ein Beispiel aus jüngster Zeit finden – etwa der Libor-Skandal von 2011, wieder bei der UBS.

Die Antwort auf die angeblich alternativlose Globalisierung muss deshalb umso mehr eine Rückbesinnung auf die Soziale Marktwirtschaft sein, die das erfolgreiche Schweizer Modell der Marktwirtschaft lange Zeit prägte und der Schweizer Nachkriegsgeneration so viel gebracht hat. Der durch die Marktwirtschaft ermöglichte Wohlstand wurde relativ gleichmässig verteilt. Von der stetig wachsenden Produktivität der Wirtschaft profitierten alle.

Dieser Grundkonsens ist heute auseinandergebrochen, wie auch die Diskussionen über existenzsichernde Löhne zeigen – mit weitreichenden Folgen. In der Rangliste der Länder nach zunehmender Vermögensungleichheit belegt die Schweiz mittlerweile den 227. Rang von allen 229 Ländern. Heute gibt es in der Schweiz 352 superreiche Haushalte mit einem Vermögen von über 100 Millionen Dollar. Die Gefahr besteht, dass sich diese Entwicklung zu einer neuen Machtelite verstärkt und das Gleichgewicht der politischen und wirtschaftlichen Kräfte empfindlich gestört wird. Dies ist die grösste Gefahr für unsere Demokratie.

Was bedeutet dies für aktuelle Tendenzen wie soziale Desintegration, moralische Desorientierung und überzogener Egoismus, die zur Destabilisierung beitragen? Diesen sind wieder vermehrt Werte wie Solidarität, Verantwortungsbewusstsein und vor allem Gemeinsinn gegenüberzusetzen, zumal die Wirtschaft nicht steril abseits der Gesellschaft existiert, sondern sich immer stärker in und mit ihr vernetzt. Auch die Marktwirtschaft braucht als Basis einen Werte-Konsens. Ehrlichkeit und Anständigkeit müssen ihre Grundlage sein. Alles Werte, die nicht nur für die Wirtschaftskräfte, sondern auch für uns Politikerinnen und Politiker gelten. Im Mittelpunkt muss die Bereitschaft stehen, dem Wohl der Gesellschaft zu dienen. Wie steht es am Rathaus Liestal geschrieben: „Unitas Civitatis Robur“, Einigkeit ist die Kraft der Bürgerschaft – zusammen für eine lebenswerte Welt.