Sonntag 24. Januar 2016 | 16:33
Obwohl die aktuelle Bedeutung der Hanro spätestens seit der Veräusserung an den österreichischen Wäschehersteller Huber Holding AG im Jahr 1991 stark relativiert wurde, gehörte die Hanro aktuell immer noch zu den 25 wichtigsten Firmen in Liestal. Allerdings beschränkten sich ihre Aktivitäten nur noch auf den Verkauf. Mit der Verlegung ihres Sitzes nach Opfikon geht nun auch dieses Kapitel zu Ende. In Respektierung der Bedeutung des Originalstandortes für die Firma Hanro und die Stadt Liestal hätte ich es begrüsst, wenn Hanro Switzerland hier geblieben wäre. Dass das bekannteste Aushängeschild trotzdem nicht aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwindet, dafür sorgt die Hanro-Sammlung von Belegstücken aus der Produktion seit der Gründung der Firma im Jahr 1884, die zum Glück in Liestal verbleibt.
Zu Zeiten der Hochblüte der Textilindustrie wies Liestal immerhin 2000 Arbeitsplätze im Bereich der Textilindustrie auf, davon allein rund 800 bei der Hanro. Bis in die 1960er-Jahre galt Liestal als eigentliches Textilmekka der Schweiz, neben der Firma Hanro waren insbesondere die Firmen Schild und Spinnler beteiligt. Die Hanro erlebte noch in den 1960er-Jahren einen regelrechten Boom, an den Machinen wurde in zwei oder gar in drei Schichten gearbeitet – Liestal produzierte für die ganze Welt. Ikonen wie Janis Joplin oder die Operndiva Maria Callas trugen Wäsche made in Liestal. Die führende Marktposition konnte in den 1970er-Jahren konsolidiert werden, und die Hanro avancierte zu einem der bekanntesten Schweizer Unternehmen überhaupt und war für Liestal das Schaufenster zur Welt. Das Hanroareal repräsentiert deshalb ein wichtiges Stück Liestaler Industrie- und Textilgeschichte.
Ab den 1970er-Jahren erfolgte dann der Niedergang der Tuchfabriken Liestals, als sich eine industrielle Produktion in der Schweiz je länger je mehr zum Standortnachteil für die betroffenen Firmen entwickelte: Der starke Franken, die hohen Löhne und die bei der Ausfuhr von Produkten in die Europäische Gemeinschaft zu bezahlenden Zölle entzogen den exportorientierten Schweizer Unternehmern die Existenzbasis. Die Tuchfabrik Spinnler musste zuerst schliessen, Hanro und Schild verlagerten ihre Produktion immer mehr ins Ausland, die Fabrikgebäude leerten sich oder wurden alternativ genutzt. Die Hanro konnte sich zwar durch eine konsequente Orientierung zur Luxusmarke weltweit etablieren, ja, ihre Marktposition noch deutlich ausbauen, doch hatte dies je länger, je weniger mit Liestal zu tun. Mit dem Verkauf der Hanro 1991 an die österreichische Huber-Gruppe (1991) und mit der Schliessung der Färberei Lofa im Schild-Areal (1995) war die Zeit der textilen Produktion in Liestal endgültig vorbei.
Heute hat längst eine dem Ort und seiner Geschichte gerecht werdende Umnutzung begonnen, die mit dem Erwerb des Areals durch die Stiftung Edith Maryon und die CoOpera Sammelstiftung PUK eingeleitet werden konnte. Heute beherbergt das Areal rund 40 Mieter, die wie im umgenutzten Schild-Areal für eine lebendige KMU-Landschaft sorgen. Die Stadt Liestal hat sich heute nach eher schwierigen Jahren vom Zusammenbruch der Textilindustrie gut erholt – dank der Entwicklungen, die vor allem dank privater Initiative auf den ehemaligen Arealen der Textilindustrie eingeleitet werden konnten.
Liestal verliert letzten Glamour. Der Unterwäschehersteller Hanro verlegt den Sitz nach über 100 Jahren in den Kanton Zürich
Basellandschaftliche Zeitung vom 24. Januar 2016
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